Sprakforsvaret
   

Das Schwedische verteidigen


Språkförsvaret – Verteidigung der Sprache – heisst der schwedische Schwesterverband von VDS und VfS. Aktiv sind wir als seine Mitglieder auf drei Feldern: Wir versuchen das Schwedische vor der Expansion des Englischen zu schützen. Wir treten ein für das Erlernen von Fremdsprachen über das Englische hinaus. Und wir stützen die nordischen Nachbarsprachen und den Gebrauch von Schwedisch in Finnland.


Wenn ich meinen schwedischen Mitstreitern vom Werbespruch "Come in and find out" und der wunderbar pragmatischen Übersetzung durch deutsche Kunden "Komm rein und finde wieder heraus" erzähle, lächeln sie verstehend. Wenn aus "Powered by emotions" "Kraft durch Freude" wird, ist auch dem letzten klar: Englisch als Werbeträger hat eigene, ungeahnte, meist gegenteilige Wirkungen. Das ist in Schweden nicht anders. Als der Flugplatz Kramfors/Sollefteå in "High Coast Airpor" umbenannt werden sollte, protestierten die Einwohner: Statt an die Weltkulturerbe-Landschaft "Hohe Küste" erinnere die Bezeichnung an "high cost", und was teuer klinge, sei kontraproduktiv. Warum dann nicht gleich auch noch den nahegelegenen Fluss "Ångermanälven" in "Regret Man River" umbenennen?


Was in Deutschland Denglisch heisst, ist svengelska (ein Mix aus Schwedisch, svenska, und Englisch, engelska) für Schweden. Es gibt sie auch hier zuhauf: jene IT-Spezialisten, Manager, Politiker und leider auch Hochschullehrer, die ihren muttersprachlichen Minderwertigkeitskomplex hinter phrasendurchtränkten Anglizismen verstecken. Nicht immer ist es so einfach, die Attitüde als Aufschneiderei und Abgehobenheit abzutun wie bei jenem einstigen deutschen Ministerpräsidenten, der gerade erst das Englische als künftige Verkehrssprache der Deutschen ausgerufen hatte und dann bei YouTube in seiner neuen EU-Funktion zur Englisch radebrechenden Lachnummer avancierte.


Schweden sprechen gemeinhin ein passables Englisch. 1946 löste es Deutsch als erste Fremdsprache in der Schule ab. Und wenn es nach einem Professor für Wirtschaftswissenschaften geht, der Jahr für Jahr Raum in den Medien erhält, sollte Schweden nun Englisch als neue Muttersprache einführen. Das dauere nur zwei Generationen lang und brächte Vorteile ungeahnten Ausmasses. Der Mann meint das ernst! Ich versprach ihm in Dagens Nyheter, der grössten schwedischen Tageszeitung, die Idee an einige deutsche Kabarettisten weiterzuleiten. Sie gehöre nach Absurdistan, wenngleich selbst dessen Bürger nicht so beschränkt wären, ihr Absurdistanisch aufzugeben. Eine schwedische Kollegin von Språkförsvaret schrieb, der Professor polnischer Herkunft möge doch die Idee, um seiner selbst willen ganz vorsichtig nur, einmal in Polen äussern. Gefiele sie dort, dürfe er gern weiterwandern und Deutschland und Frankreich damit beglücken.  


Anders als in Deutschland ist das Englische in Schweden im Alltag ständig präsent. Sieht man abends fern, kann es passieren, dass die zwei staatlichen Kanäle, die bezeichnenderweise "Public Servic" heissen, und die drei grössten Privatanstalten allesamt angloamerikanische Programme im Original, mit schwedischen Untertiteln, zeigen. Per Landin, seinerzeit Kulturredakteur bei Dagens Nyheter, prägte den immer wahrer werdenden Satz, Schweden sei das amerikanisierteste Land der Welt, mit den USA als gutem Zweiten. Schwedens Rolle während des Zweiten Weltkrieges bereitete dafür den Boden. Mit Schuldgefühlen im Nacken, "verstiessen wir in Schweden nach dem Krieg in kürzester Zeit das deutsche Erbe" – so der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, Peter Englund, unlängst in seiner Begrüssungsansprache vor über 100 Gästen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Stockholm. "Der Prozess verlief unnötig schroff", so Englund weiter. "Während man sich in Deutschland auf die Zeit vor dem Nationalsozialismus besann, den Wert klassischer Bildung und der Geschichte betonte, nahmen wir in Schweden Abstand von ALLEM, was an das deutsche Kulturerbe erinnerte. /.../ Die grossen Lücken, die der Verlust des Deutschen riss, sind einer der Gründe für das rasante Tempo des Anglifizierungsprozesses gerade in Schweden."


Dieser Prozess reisst Bewährtes mit sich und stellt Dinge auf den Kopf. Die zuweilen mit näselnder Oberlehrerhaftigkeit vorgetragene Empfehlung, die Deutschen mögen sich doch nun auch des Englischen befleissigen, wirkt etwas deplaciert, sieht man sich die Handelsbilanz mit Schwedens grösstem Handelspartner Deutschland einmal genauer an. Der Regel, wolle man verkaufen, sollte man die Sprache des Kunden sprechen, kann man nicht mehr Folge leisten, denn weniger als 1000 Studenten lernen noch Deutsch. Der Umfang des schwedischen Exports nach Deutschland ist nur halb so gross wie umgekehrt. Fehlende Sprachkenntnisse behindern Exportmöglichkeiten. Man versteht Offerten nicht mehr, umgeht Telefonate und traut sich nicht, Rückfragen zu beantworten. Deutsch wird hier amtlich "Kleinsprache" genannt, wie übrigens auch die weltweit zweitgrösste Sprache Spanisch, wie Französisch, Russisch und Polnisch. Man verwechselt Grösse und Einfluss von Weltsprachen mit der Zahl derer, die sie in Schweden noch beherrschen. Die Auffassung, schliesslich reiche Englisch doch aus, wird von zahlreichen schwedischen Entscheidungsträgern mal offen und mal hinter vorgehaltener Hand vertreten. Das Gegenteil beweisen Forschungen wie die von der EU in Auftrag gegebene ELAN-Studie ("Auswirkungen mangelnder Fremdsprachenkenntnisse in den Unternehmen auf die europäische Wirtschaft", 2006) oder die Dissertation des schwedischen Wirtschaftsforschers Kjell Ljungbo "Language as a Leading Light to Business Cultural Insight", Stockholm 2010.


Bei dieser Ausgangslage wird verständlich, dass die Mitglieder unserer kleinen, aber feinen und äu?erst schlagkräftigen Organisation mehr als genug zu tun haben. Ohne uns würde es noch heute kein Gesetz geben, das Schwedisch als Nationalsprache festschreibt. Allerdings ist die Durchsetzung dieses Gesetzes ein nicht endenwollender Hürden-, um nicht zu sagen Spiessrutenlauf. Nimmt der gemeinhin selbstherrlich entscheidende Justizombudsmann eine Klage einmal an und gibt tatsächlich dem Kläger recht, ist noch lange nicht gesagt, dass sich etwas ändert. Beispiel dafür sind die nach wie vor nur in englischer Sprache verfassten Epost-Adressen der gesamten schwedischen Regierung und ihrer Instanzen.


Manch einem Mitglied von Språkförsvaret ist inzwischen der kräftezehrende und schier endlos scheinende Kampf mit der Bürokratie leid. Ein Gesetz, das zahm ist wie eine Schosskatze, ist als Bollwerk gegen das mit brachialer Gewalt in alle Lebenssphären eindringende und das Schwedische häufig verdrängende Englisch nun einmal wenig geeignet.


Es gibt andere Mittel und Wege, die schwedische Sprache zu verteidigen. Schwedischkundigen Leserinnen und Lesern sei die vom Vorsitzenden Per-Åke Lindblom hingebungsvoll gepflegte Netzadresse www.sprakforsvaret.se empfohlen. Sie ist ein Spiegel der schwedischen Gesellschaft und einer Sprache, die heute um ihr Existenzrecht kämpfen mu?. Diese Rolle ist ihr, die in ihrer jüngeren Geschichte Unterdrückung und darauf folgenden Widerstand nie erfahren hat, fremd.


Um so voraussetzungsloser und ungezügelter, spontan, beherzt und voller Unbefangenheit, ist dieser Widerstand. Da gibt es die Krankenschwester, die sieht, dass die von der Krankenhausleitung vorgeschriebenen englischsprachigen Formulare weder von den Ärzten, noch von den Patienten verstanden werden und Zeitverluste wie Fehlbehandlungen zur Folge haben, was sie nun öffentlich macht. Da gibt es die Schwedischlehrerin, die beklagt, dass ihre Schüler trendbestimmende Phänomene aus dem Englischen in das Schwedische übertragen, wo sie sinnhemmend oder gar sinnlos wirken. Da ist der englische Ingenieur, der seinen schwedischen Kollegen erklärt, warum er das Schwedische, das weltberühmte Forscher wie Linné, Arrhenius, Celsius und Nobel sprachen und schrieben, sich zu opfern weigert: "Die grossen, weltbekannten Unternehmen, die noch vor nur einigen Jahren ganzheitlich schwedische Organsationen waren, werden nun in rasendem Tempo in wurzellose globale 'brands' umfunktioniert, wozu ihnen hastig ein englisches Sprachkleid übergestreift wird. Dies zu tun, meine ich, kommt schwerwiegendem Verrat gleich, einem nationalen Selbstmord, initiiert von den höchsten 'Stützen' der Gesellschaft" (Jonathan Smith).


Språkförsvaret verleiht im Monatsrhythmus Diplome an Unternehmen und Personen, die die schwedische Sprache pflegen und weiterentwickeln. Kampagnen wie jene der "Library Lovers" – ausgehend von den schwedischen Volksbibliotheken, die die schriftlichen Zeugnisse der nationalen Kultur verwalten sollen – erhalten dagegen "Tummen ner"-Diplome: ein Daumen, der nach unten zeigt, verbunden mit einer Begründung für die öffentlich zur Schau gestellte Wahl.


Als Mitglieder von Språkförsvaret engagieren wir uns überdurchschnittlich häufig in den Medien zu Fragen der Mutter- und Fremdsprachen im Alltag, im Wirtschaftsleben und im Ausbildungssektor. Nicht zuletzt erarbeiteten wir einen Vorschlag für eine angemessene Sprachpolitik an schwedischen Universitäten und Hochschulen und reichten diesen bei den entsprechenden parlamentarischen und Regierungsinstanzen ein. In Kürze erscheint das erste Buch unseres Verbandes mit ausgewählten Beiträgen seiner Mitglieder aus sechs Jahren Verbandsarbeit.


Eine der gelungensten Veranstaltungen von Språkförsvaret war unlängst ein öffentliches Seminar mit EU-Dolmetschern. Schweden – und zuweilen Dänemark –, so hiess es, gäbe in der EU das wenigste Geld für Dolmetschleistungen in die Muttersprache aus. Das hat Folgen. Politiker halten Reden auf englisch, denen der Nuancenreichtum der Muttersprache fehlt. Jene Reden werden dann in andere Sprachen gedolmetscht, zuweilen mit Anfragen der Kollegen an die schwedische Kabine, was der oder die Abgeordnete denn meine. Schliesslich wird der Text von Übersetzern auch ins Schwedische übertragen. So landet er dann bei schwedischen Behörden, die einst dem Politiker zuarbeiteten. Die Angestellten wundern sich zuhauf, dass Brüssel schwedische Verhältnisse einfach nicht versteht.


Prof. Dr. Frank-Michael Kirsch,

Rönninge (Schweden)      

(Publicerad med författarens tillåtelse)